Review: KEIN PARDON, Leipzig

By: May. 08, 2017
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"Bitte werfen Sie eine Münze ein! Bitte werfen Sie eine weitere Münze ein!"


Basierend auf Hape Kerkelings Filmsatire "Kein Pardon" feierte das Musical aus der Feder von Achim Hagemann und Thomas Zaufke mit einem Buch von Thomas Hermanns im November 2011 seine Welturaufführung in Düsseldorf. Damals schlüpfte Allround Talent Dirk Bach in die Rolle des hessischen Fernseh Moderators und Egomanen Heinz Wäscher (mit ä). Inszeniert wurde das Musical von Alex Balga.

An der musikalischen Komödie Leipzig führte nun Thomas Hermanns Regie. Manchmal gibt es Dinge im Leben, die man beobachtet und von denen man sich nur schwer abwenden kann. Diese Dinge können unterschiedlicher Natur sein: manchmal sind sie spannend, aufregend, witzig, albern und einfach nur schlecht. Wenn ich nun ein Adjektiv nutzen müsste um das Debakel zu beschreiben, was am Samstagabend in Leipzig seine Premiere hatte kann ich nur letzteres nehmen: nämlich schlecht.

Um eins vorweg zu nehmen: ich liebe den Film von Kerkeling. Ich habe ihn beinahe religiös oft gesehen und kann fast jede Szene auswendig mitsprechen.

Samstagabend im Ruhrpott. Die Eurovisions-Hymne dröhnt aus dem Fernseher. Höchste Zeit, die letzten Schnittchen zu servieren und es sich auf dem Sofa bequem zu machen. Als dann die Titelmelodie ertönt, stimmen alle schunkelnd mit ein: »Witzigkeit kennt keine Grenzen! Witzigkeit kennt kein Pardon!« Seit Jahrzehnten spielt sich in Peter Schlönzkes Familie jeden Samstagabend das gleiche Ritual ab. Einmal Heinz Wäscher, dem Moderator der Samstagabendshow, die Hand schütteln, das war schon immer Peters heimlicher Traum. Doch als er über ein Casting das wahre Gesicht Wäschers kennenlernt, platzt ihm vor laufender Kamera der Kragen. Der Programmdirektor ist begeistert und macht ihn kurzerhand zum Nachfolger Wäschers. Endlich ein neues Gesicht! Ab jetzt ist der unscheinbare Peter ein Star. Doch bald macht sich bemerkbar, wie schnell das Fernsehen einen Menschen verändern kann.

Die Produktion in Düsseldorf fand ich damals charmant, witzig, ungemein unterhaltsam und eine überaus gelungene Übertragung vom Medium Film auf die Theaterbühne. Nur um ein Stück erfolgreich zu adaptieren braucht man nicht nur eine gute Regie, sondern vor allem auch ein motiviertes, fähiges Ensemble.

Dass, was bei Kerkeling so leicht und mühelos aussieht ist, und hier verrate ich nun kein Geheimnis, die Mischung aus Qualität und Transpiration. Nicht jeder, der sich einen lustigen Hut aufsetzt ist automatisch witzig, nicht jeder, der einen Ton langer als zwei Sekunden halten kann ein Star. Billy Wilder sagte einmal, angesprochen auf seine oft schwierige Arbeit mit Marilyn Monroe: "Ich hatte eine Tante, die würde immer akkurat pünktlich zu den Proben kommen, ihren Text stets von vorne nach hinten und von hinten nach vorne, mit Strichpunkt und Komma beherrscht haben. Nie hätte sie mir eine Aufnahme verdorben, nie hätte ich auch nur die kleinste Auseinandersetzung mit ihr. Aber an der Abendkasse, da war sie 0,14 € wert."

Benjamin Sommerfeld übernimmt in Leipzig die Rolle des Peter Schlönzke, die Rolle die einst Kerkeling im Film kreierte und die in Düsseldorf Enrico De Pieri auf so grandiose Weise spielte und sang. Sommerfeld hat nicht nur die Ausstrahlung einer nicht intakten Glühbirne, sein Timing und sein Spiel sind langweilig und espritlos. Er hangelt sich von Szene zu Szene und wirkt dabei so fehlbesetzt und hilflos, dass es schon peinliche Ausmaße annimmt. Peter ist ein liebenswerter Außenseiter, ein kleiner Otto Normalverbraucher, aber kein begriffsstutziger, dämlicher Idiot. Da ist ein Rollenportrait aber mal gründlich in die Hose gegangen. So wie Sommerfeld seinen Peter anlegt, ist er eher Typ Ilja Richter in einem Pennäler Film aus den 70ern, nur ohne dessen Talent.

Nach der vom Glücksautomaten unterbrochenen Ouvertüre, geht es sofort in das Bottroper Wohnzimmer (Bühne: Hans Kudlich) von Familie Schlönzke. Ersatzlos gestrichen ist die Szene mit dem kleinen Peter und dem umgekippten Fernseher und, da gibt es von mir kein Pardon: Bottrop Beach ist geschlossen und somit gestrichen. Gerade die Szene, die so liebevoll das Publikum ins Ruhrgebiet einlud ("Jennifer, dat heißt nicht gib mich die Currywurst, dat heißt gib mich die Currywurst bitte") wäre aufgrund des großen Ensembles der Komödie mühelos umsetzbar gewesen. Resultierend daraus ist auch die spätere Reprise ("Weißte watt, es ist wahr, unser Junge ein Fernsehstar") weg. Keine sehr gute Entscheidung!

"Kumpel Nummer eins", die humorige aber auch emotionale Ode an den Fernseher, setzt Sommerfeld gründlich in den Sand. Herrmanns lässt ihn lieblos auf einer Treppe sitzen (die später zur Showtreppe umfunktioniert wird). Musikalisch hat Leipzig das volle Orchester aufgefahren, welches sich bei der Partitur als keine sonderlich glückliche Fügung herausstellt. Klingt die Ouvertüre noch sehr üppig und verstärkt vom hauseigenen Chor, sehr nahe an frühere ARD oder ZDF "Melodien für Millionen" Ausstrahlungen, wird im Verlauf der Show deutlich, dass eine Band die qualitativ bessere Alternative gewesen wäre. Mit angezogener Handbremse liegt das dirigat bei Stefan Klingele. Manche Shows profitieren von einem großen Orchester, diese gehört nicht mit dazu.

Alles wirkt wie in Moll und immer eine Spur zu langsam und zu behäbig. So verkommt die Produktion zu einer bloßen Nummernrevue. Ohne Timing, ohne den Sinn für Situationskomik agieren Sabine Töpfer als Doris, Andreas Rainer als Betram und Michael Raschle als Walter. Das Trio Fürchterlich schafft es wirklichen jeden Witz im Ansatz zu versenken. Glückwunsch, dass muss man auch erstmal schaffen! Zu allem übel übernimmt Raschle auch noch die Funktion von Hardy Loppmann, die ebenfalls gestrichene Rolle des Anklatschers und Animateurs. Was schon in Düsseldorf nur bedingt funktionierte erweist sich in der Leipziger Inszenierung als gequält und gewollt komische Parodie des Fernsehwahns.

Mit "Käffchen" hat Nora Lentner nicht ihre Chance genutzt um positiv auf sich aufmerksam zu machen. ("Käffchen? Mit Milch und Zucker? Käffchen Heinz?")

"Fernsehland" ist im Gegensatz zum Original um mmindestess die Hälfte an Tempo gedrosselt, was der Nummer nicht gut tut. Bei "Klingelsturm", bei dem Ulla (Julia Waldmayer) und Peter vor einer Mehrfamilienhaus Kulisse stehen, sind neben dem Orchester selbst die Scheinwerfer (Followspots) eingeschlafen, die sich wie auf dem Seniorenschützenfest behäbig bewegen.

Das wäre vielleicht noch zu verschmerzen, aber die Besetzung von Cusch Jung als Heinz ist eine Pleite. Bei "Lass Heinz ran!" könnte man ihm auch gleichzeitig im Gehen seine Schuhe besohlen, denn hier wird kein Feuerwerk der guten Laune entzündet, sondern eher bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Von Witz ist bei dem Tempo nämlich nichts mehr übrig. Da wo Dirk Bach allabendlich sein Publikum zu Ovationen hinriss, langweilt Jung und kann damit höchstens ein Seniorenkränzchen zum vorsichtigen schmunzeln bewegen.

Für "Ab jetzt ein Star" wurde die Melodie geändert und bei "Wild und frei", dem zweiten Duett von Ulla und Peter, ist das wildeste und schnellste der routierende Drehstuhl auf der Bühne.

Nur Iris Schumacher, die ihre Rolle der Mutter Schlönzke aus der Düsseldorfer Produktion in Leipzig wiederholt, versteht es auf vortreffliche Art und Weise mit Humor, Pfiff und Stimme ihrer Figur Leben und Seele einhauchen. Sie berührt mit "Mein Sohn ist beim Fernsehen" und streitet herrlich mit Oma Hilda (Anne-Kathrin Fischer) über deren Gurken Klau im mittelständischen Betrieb.

Thomas Hermanns recycelt Alex Belgas Düsseldorfer Inszenierung in der Billigversion. Hier wird ein schönes, sympathisches Stück zur bloßen Nummernrevue verheizt. Trotz einiger Kürzungen (vgl. Eröffnungsnummer und Dialogpassagen) zieht sich das Stück massiv. Das Leben kennt oft wirklich kein Pardon: "Tee oder Käffchen???" " Für mich liebä garnis!" ... "Und gute Nacht!"



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